Ein paar Gedanken über (bildende) Kunst (aus der Sicht eines Gestalters) – I.
(Wahre Kunst kann man nicht kaufen, nur verkaufen – Man darf nicht berechenbar sein!)
(wird ständig korrigiert und ergänzt)
(07-2014)
In der Kunst gibt es keine Norm. „Normal“ ist für den (nicht nur für die italienischen) Künstler ein Fremdwort. Er überträgt seine sinnlich-sittlichen Werthe auf seine Werke. Von Vermeer zählt man etwa 35 Bilder, von Picasso sind ca. 60.000 Arbeiten bekannt. Picasso konnte bereits mit 17 Jahren seine erste Ausstellung realisieren und bestreiten, Fritz Winter wollte erst mit 40 Jahren mit seiner ersten Einzelausstellung an die Öffentlichkeit treten. Der Überlieferung zufolge, hat Vincent van Gogh lediglich ein einziges Bild in seinem tragischen Leben verkauft, der Picasso des 21. Jahrhundert erreicht stets neue Rekordpreise auf internationalen Auktionen.
Karl Valentin bemerkte einmal (sinngemäß): „Kunst kommt von Können. Aber wenn man es kann, dann ist es keine Kunst mehr.“
Die realistische (und naturalistische) Widergabe der Natur (in der Realität) bildet den Grundstock der bildenden Künste. Aktzeichnen stellt eine grundlegende Übung im Erfassen menschlicher Proportionen dar. Bei psychischen Beeinträchtigungen (z.B. Beeinträchtigungen bei psychotischen Erkrankungen) zeigen sich menschliche Darstellungen nicht klar und naturgemäß, sondern verzerrt, unproportional und deformiert. Die Realitätsprüfung (Geist) und das Reflexionsvermögen fehlt, mangels Stabilität der Psyche. Dies kann aber auch der bewusste Geist beabsichtigen. (So werden Stile, Trends und neue Richtungen geboren.) (Einem Menschen mit gebrochenem Bein in Gips sieht man die Erkrankung und die Folgen eines Unfalls offensichtlich an.)
Eine ursprüngliche Begabung oder ein Talent und/oder eine Leidenschaft dürfte zwar die Voraussetzung für einen kreativen Werdegang sein, es spielen aber auch (psychische und folglich auch vernünftige) Schicksale für die weitere Entwicklung eine Rolle. (Duchamps hat sich aus der Kunst verabschiedet und widmete sich folgend vorwiegend dem Schachspielen.)
Wer imstande ist, die menschlichen Proportionen zu erfassen und darzustellen, hat auch ein Gefühl für Bildkomposition (relational art) und auch für ausgewogene Typografie. Farbgestaltung ist eine Sache der Intuition, des Gefühls und auch des Intellektes. (Goethe – Newton) (Die Frage wäre, inwiefern bei psychischen Erkrankungen das Gefühl oder der Intellekt, oder beides die Oberhand behält.)
Die Abwendung von einer realistischen Widergabe und Darstellung der Realität hin zu abstrakten Darstellungen im Sinne der Gesetze des Sehens, sollte als Fortschritt gesehen werden. (Es kann ein Fortschritt sein, aber im psychologischen Sinne auch einen Rückschritt bedeuten, hin zu früheren, archaischen Entwicklungsstufen.) Ästhetik ist ein Merkmal beider Auffassungen. Ästhetik ist aber, nach Konrad Fiedler, nur ein Teilaspekt von Kunst. (Konrad Fiedler in „Schriften zur Kunst“ II, Bild und Text, S. 176: „Die sogenannte erkennende Tätigkeit stellt sich dann ebenso gut als eine gestaltende dar, wie die sogen. gestaltenden Tätigkeiten als erkennende darstellen.“) Ein Kerngedanke von Paul Klee lautet: „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar.“
(Ich selbst als Gestalter oder Designer – a.D. -versuche zumindest in den freien kreativen Bildäußerungen Werke zu schaffen, die nicht nur – zumindest ansatzweise -ästhetischer Natur sind, sondern auch Erkenntnis im Sinne von Lebenserfahrung, in Einklang mit den Gesetzen des Sehens.)
Man muss Farben wegnehmen, um besser sehen zu können und Farben hinzufügen, um einen klaren Kopf zu behalten. (Weniger kann mehr bedeuten.)
Es gibt keine Kunst, sondern nur Künstler. (Kunst ist, was ein Künstler macht.) Es gibt keine Kunst, sondern nur Genies. (Es gibt viele Schicksale, und wenige Genies.) Kunst ist ein Schicksal. Gunst ist das Leben selbst. (Er sagte ja nicht: „Jeder ist ein Künstler“, sondern: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“)
Kunst soll man nicht studieren, sondern machen. (2006 waren in Deutschland 84.000 Studenten in den Studienbereichen der Künste, einschließlich der Kunstwissenschaften, einschrieben.) Die Frage ist: Wann ist es Kunst? Kunst ist keine Politik, aber Politik kann eine große Kunst sein. Kunst ist nicht nur Passion, sondern eine Lebenshaltung, das Leben eine Philosophie zur Lebenskunst. Kunst sollte man nur machen, wenn überhaupt nichts mehr übrig bleibt, wenn man sonst nichts anderes kann.
Alles was gedacht werden kann, kann (unter physikalischen Möglichkeiten) realisiert und auch ausgesprochen werden. Ein Bildwerk sucht nach einer sprachlogischen Entsprechung und Ergänzung in vielschichtigem Sinne. Das Kind muss einen Namen bekommen. (Auch kein Titel oder „ohne Titel“ ist ein Titel.) Das Reflexionsvermögen ist die Wahrnehmung von formal-ästhetischer Erscheinung und das Erkennen und das scharfe Urteil oder die Folgerung im Rahmen intellektueller Kapazitäten.
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Auch ein kreativer Werdegang muss (nach vielen Irrtümern und Irrfahrten) an das Erwachsenwerden denken. Die kreativen Bildwerke sollen schließlich das Stadium der Selbstbefriedigung überschreiten. An die Öffentlichkeit zu treten verlangt kein leichtes Maß an Verantwortung. Man muss sich verantworten können. („antworten“ – „verantworten“). (Konsequenzen in der Politik ziehen Rücktritte nach sich.) Eine öffentliche Ausstellung zu bestreiten (Paris, London…) ist kein Kindergeburtstag. Ein gutes und ein echtes Kunstwerk ist (sollte) ein Geschenk an die Menschheit (sein).
Zartbesaitete Naturen (Sensibilität – Sensitivität) müssen kritikfähig werden. So viele Gönner, Befürworter und Bewunderer man hat, genauso viele Kritiker, Nörgler und Neider wird man haben. (Menschliche Geschmäcker und Vorlieben sind nun mal verschieden.) (Emil Schumacher: „…man muss an sich glauben…“) Man kann in einer Perle einen großen Nachteil erkennen und jedem Hundekothaufen etwas Positives abverlangen. (Eine Perle kann man besitzen, aber eine…)
Zur Psychologie der Kreativen (und des Künstlers) gibt es nicht viel zu sagen (dies würde Bände füllen), aber viel zu sehen. Ein kreatives (freies) Bildwerk kann eine Offenbarung bedeuten. (Übrigens zählt man Architektur, Innenarchitektur und Gebrauchsgrafik, sowie Goldschmieden auch zu den bildenden Künsten.) Wenn man die biblische Auslegung der Schöpfung zu Grunde legt, gibt es einen einzigen Schöpfer. So offenbart und zeigt sich der Künstler (ausschließlich) als Ich-Person par Excel Lance.
Bildende „Kunst“ als kreative Äußerung zeigt eine geistige Haltung und offenbart eine psychische Position, die sich in Stilen und Richtungen äußert. (Das Informel war – oder ist – reine Emotion, reines Bauchgefühl mit keiner oder wenig geistiger Attitüde.) „Kunst“ ist ein Attribut, das von anderen beigefügt werden muss. Kunst ist im Grunde wie visuelle Kommunikation, nur kommt die individuelle Lebenserfahrung und das persönliche psychische Schicksal hinzu und zeigt sich im Werk.
Arme Materialien wie Papier, Karton, Pappe, Holz, Schnur, Kordel, Draht, Beton, Gips usw. stehen bei kreativer Bildfindung edlen Materialien (wie Leinwand, Metalle, Edelmetalle, Marmor) nicht nach, sondern können Gold wert sein. Arme Materialen transportieren, transformieren, entwerfen und visualisieren genauso die oder eine (Bild-) Idee wie edle Materialen. Man muss das Gold (Idee) nur kreativ erkennen. (Wer kreative Bastelarbeiten verrichtet, dürfte sich auf dem Holzweg befinden.)
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(08-2014)
Wer viel liest und auch viel vergisst, muss bleibende, bestehende Bilder kreieren. Bilder, Bildwerke, kreatürliche Machwerke schaffen materielle Substanz. Man muss Bilder machen, die zählen, die eine materielle Basis und eine Hinterlassenschaft haben. (Jeder Kreative lebt mit seinem materiellen künstlerischen Werk nach seinem physischen Tod weiter.) Durch die materielle Existenz der Bildwerke werden kreative Ideen für immer verankert. Dieses materielle Kapital speichert die kreativen Gedanken und zeigt sie beim Sichten und Durchforsten. Es ergibt sich Halt und Sicherheit. Wer in einer Notlage sein materielles Werk, wie auch immer, verliert, kann sich bestimmt an jedes Beispiel gut erinnern. Man erinnert sich an die Emotionen, Motive, kreativen Absichten eines jeden Bildwerkes. Eine Dokumentation erleichtert die Gedankenführung.
Im Gegensatz zu geistigem Gut, erfordert materielles Gut eine räumliche Obhut. Wer nur digitale Lichtbildwerke kreiert, hat es für die Archivierung leichter als einer, der Zeichnungen und Grafiken schafft, und leichter als jemand, der Bilder auf Keilrahmen und Leinwand oder flache Objekte anfertigt, dieser steht im Vorteil der Lagerung seiner Bildwerke als ein Kreativer, der große Gemälde herstellt und schwerer, der Skulpturen und/oder Plastiken schafft und Probleme kann es für Bildhauer geben, die, von den räumlichen Ausmaßen her, große Kunstwerke zu schaffen im Stande sind.
Fotografen, Grafiker, Maler, Bildhauer stehen der Tatsache von „Räume und Träume“ gegenüber. Für den Bildhauer dürfte ein Atelier eine Voraussetzung zur Realisierung seiner Ideen und Träume sein.
Ohne Wohn- und Immobilienbesitz dürfte es nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich sein, seiner Berufung unter wirtschaftlichen Voraussetzungen Folge zu leisten. (Ein Theologiestudent benötigt für die Gewährleistung seiner Ausbildung lediglich ein Zimmer und ein kleines Bücherreagal. Ein Studium der Bildhauerei kann für den angehenden Künstler eine logistische Herausforderung darstellen.) Eine Mietwohnung und zugleich ein angemietetes Atelier/Arbeitszimmer will erst einmal geschultert sein. Wer nur ein kleines Zimmer und ein kleines Auto hat, kann auch nur kleine Arbeiten kreieren. Kreative Freiheit muss sich durch Zeit und Geld teuer erkauft werden. Die Gesetze des Marktes sind gnadenlos. (An den Ausbildungsstätten für künstlerische Disziplinen wird Kunst und Kreativität gelehrt, weniger aber Marketing, Verkaufen, Bestehen und Überleben in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften.)
Was nützen beste Reputationen, wenn es an den Fähigkeiten mangelt, Kapital aus eigener kreativer Arbeit zu schlagen?
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Die schönen Künste finden sich heute eigentlich vorwiegend in den angewandten Künsten. – Ein Outfit, Ambiente, Interieur offenbart eine ästhetische Haltung und Einstellung. An schönen Dingen kann man sich immer wieder erneut erfreuen. Die Verlagerung und Lenkung von Triebenergie auf unbelebte Objekte und kreative Schöpfungen zeigt sich in ästhetischen Beispielen und Normen. Diese Sublimierung kann als Agens der kreativen Arbeit angesehen werden.
(Hierzu Winfried Menninghaus, aus „Wozu Kunst? Ästhetik nach Darwin“, Suhrkamp e-Book: Entstehung der Künste (S. 181): „Die Künste entstanden als neue Varianten menschlichen Verhaltens, als die sehr alten Adaptionen der ästhetischen Bewertung sexueller Körperornamente (und eventuell singender Werbungsbemühungen), des Spielverhaltens und des Werkzeuggebrauchs – die bis dahin wenig oder keine Überschneidungen aufwiesen – nach Erwerb und unter Mithilfe der sehr viel jüngeren menschlichen Superadaption, eben unsere Fähigkeit zu Sprache und Symbolgebrauch aller Art, einem neuen gemeinsamen Gebrauch zugänglich werden. Für jede einzelne der Künste geschieht dies auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Gewichtung.“ Und weiter, S.187: „Die Erforschung ontogenetischer Kunsteffekte bietet daher sehr viel bessere Voraussetzungen als die Hypothese, die Künste hätten in lange zurückliegenden Zeiten zunächst primär der sexuellen Werbung gedient. Im heutigen Fächerspektrum sind empirische Evidenzen für die behaupteten Effekte der Künste primär von der Bildungsforschung, der Entwicklungs- und Medienpsychologie, der empirischen Soziologie, der medizinisch-psychologischen Forschung zu auf die Künste gestützten Therapieformen und von den Neurowissenschaften zu erwarten.“)
In den gegenwärtigen Künsten und in der sogenannten modernen Kunst kristallisiert sich die Tendenz zu einer typischen „Markenformung“ und „Markenerkennung“ heraus. Im Marketing spricht man von einem Alleinstellungsmerkmal – USP (unique selling proposition). Künstler brauchen ein typisches Erkennungsmerkmal.
Pablo Picasso entwickelte sich in den Modifikationen seiner Signatur (der Vorname des Vaters, dann der der Mutter im Vornamen seiner Signatur, bis später schließlich nur noch der Nachname/Familienname) zur Marke. Sujets (z.B. die Sonnenblume bei van Gogh) und/oder formal-ästhetische Merkmale und Besonderheiten können Avantgarde-Bewegungen kennzeichnen. Stile werden geboren. Der Nagel steht für Günther Uecker. Seine individuelle Bedeutung und Gewichtung (Symbol) wurde zum Zeichen, zum Erkennungszeichen und somit zur Marke. (Im merkantilen Sprachgebrauch bedeutet eine Marke ein unverwechselbares Erkennungsmerkmal mit kontinuierlicher, etablierter und gewohnter Qualität.)
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„Die Kunst“ ist weiblichen Geschlechts – „das Werk“ (Kunstwerk/Bildwerk) ist sächlich. Kunst war lange Zeit eine Männerdomäne. Das Mäzenatentum vom ausgehenden Mittelalter mit Auftragsarbeiten für bildende Künstler war vornehmlich Künstlern (männlichen Geschlechts) vorbehalten. Zu dieser Zeit entwickelten sich auch die Schreib- und Buchkünste (noch vor der Erfindung des Buchdruckes in Europa mit Johannes Gutenberg) in den Schreibwerkstätten der Klöster und wurden vornehmlich von Mönchen ausgeführt.
Mit dem Aufkommen von Ausbildungsstätten für bildende Künstler (Akademien – die in Nürnberg ist die älteste im deutschsprachigen Raum) schloss man zugleich die Präsenz von Künstlerinnen aus. Bildende Kunst war ausschließlich Männersache. Es gab eigentlich keine Möglichkeit für kreativ gesinnte Frauen, ein Kunststudium anzutreten und zu absolvieren.
Weiterhin verbannte die nationalsozialistische Kultur- und Kunstdoktrin im Dritten Reich weitgehend das weibliche Geschlecht aus dem Ausbildungsprogramm und dem (herrschenden Gedankengebäude) der Akademien und im Gedankengut der Kulturauffassung mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft in Deutschland. (Mit Ausnahmen.) Die Moderne brachte aber zahlreiche bedeutende Künstlerinnen hervor.
Der Schöpfung zufolge, sollte sich Schmerz für den Mann in der täglichen Arbeit manifestieren, für die Frau in der wundersamen Gabe und biologischen Funktion, menschliches Leben zu gebären.
Bis heute hat sich, dank Emanzipation, Gleichstellung und Gleichberechtigung, und einer zeitgemäßen, fortschrittlichen Gesellschaftsentwicklung die Stellung der Frau in den (bildenden) Künsten als Künstlerin geändert. In Ausbildungsstätten für künstlerische Disziplinen spiegelt sich heute die geschlechtliche Verteilung in etwa dem des Wirtschaftslebens wider. Ein großer Fortschritt und eine Entwicklung in die richtige Richtung. Die Historie zählt bedeutende und namhafte Künstlerinnen, die den männlichen in Nichts nachstehen. (Hilma af Klint, Meret Oppenheim, Sophie Taeuber-Arp, Hannah Höch, Paula Modersohn-Becker, Niki de Saint Phalle, Marianne von Werefkin, Camille Claudel, Käthe Kollwitz, Emily Carr, Gabriele Münter, Frida Kahlo, Jacqueline Lamba, Alice Neel, Germaine Richter, Louise Bourgeois, Lee Krasner, Elaine de Kooning, Joan Mitchell, Maria Lassnig, Lygia Clark, Adrian Piper, Jeanne-Claude, Nancy Graves, Yoko Ono, Judy Chicago, Marina Abramovic´, Lynda Benglis, Ana Mendietaolee Schneemann, Ulrike Rodenbach, Cindy Sherman, Sherrie Levine, Louise Lawler, Barbara Kruger, Jenny Holzer, Christine Colditz, Christine Nikol, Rosemarie Trockel, usw. – Es zeigen sich auch Künstlerinnen, die in einer Doppelfunktion auch als Galeristinnen fungieren. Renommierte deutschsprachige Galeristinnen sind u.a. Gisela Capitain, Bärbel Grässlin, Ursula Krinzinger, Philomene Magers, Vera Munro, Eva Presenhuber, Esther Schipper, Christel Schüppenhauer, Rosemarie Schwärzwälder, Monika Sprüth…)
Das geschlechtsspezifische Thema „Frausein“, eine Emanation, war und ist nicht ausschließlich Gegenstand der Künstlerinnen (Frida Kahlo), kann (oder war) aber ein spezifisches Motiv und Themenkatalog sein (Rosemarie Trockel). Eine Frau hat den geschlechtsspezifischen Vorteil und/oder die Möglichkeit, sich, ihre wirtschaftliche Situation und somit ihre Kunst, und somit ihren Lebensunterhalt, in den Anfängen der künstlerischen Entwicklung, sofern nicht von Haus aus finanziell gutgestellt und/oder gut betucht, durch eine Liaison zu einem Gönner und/oder „Ernährer“ zu gründen und zu manifestieren.
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Revolutionen:
Gab es in der Kunst schon mal eine Revolution? – Eigentlich nicht. Kunst bewirkt zunächst einmal gar nichts. Sie der Ausdruck und die Widerspiegelung des Zeitgeistes. Oder die visuelle und geistige Offenbarung einiger weniger Auserwählten (Sterne). (Was ja wieder dem Zeitgeist entspricht.) Kreative und künstlerische Größen wie Pablo Picasso und Gerhard Richter mit exorbitanter Genialität sind (mit Worten) schwer zu fassen. Ein derartiges kreatives Potential sieht viele und verschiedenartige Ausdrucksformen, Haltungen und Stiläußerungen vor. (Derartig mit visueller Potenz und unermüdlichem Schaffensdrang begabte Menschen sind in der Lage und besitzen die vollkommenen Fähigkeiten, fokussierten Geist mit formal-ästhetischer Virtuosität zu visualisieren, zu variieren, multiplizieren und stets zu wandeln.)
Die visuellen Künste entwickelten sich aus Kulthandlungen, gebannt auf Felswänden in Höhlen (früheste Zeugnisse finden sich in Mittel- und Südfrankreich, z.B. bei Lascaux, in Nordspanien – Spanien, z.B. Altamira, neuere Beispiele findet man in Südafrika und Australien). Mit der Renaissance in Italien, und auch in Deutschland, entwickelte sich eine neue Darstellungsweise in der bildlichen Darstellung: die Perspektive (perspicere = (hin)durchsehen, deutlich sehen, genau besichtigen, betrachten; durchlesen; durchschauen, erkennen, wahrnehmen.)
Mit der Erfindung der Fotografie, der Lichtbildkunst, wurde zwar die realistische und naturalistische bildnerische Widergabe von Natur (Realität) nicht obsolet, wurde aber zunehmend von anderen, weitergehenden, weiterentwickelten Darstellungs- und Ausdrucksformen verdrängt: der Abstraktion. (Musik kann als die höchste Stufe von Abstraktion angesehen – oder vielmehr gehört – werden.) Eine realistische Darstellung der Natur findet sich in den gegenwärtigen Kunstströmungen parallel zu anderen Kunstauffassungen. (Vielleicht gerade wegen der Dominanz und Präsenz der Fotografie in den visuellen Medien. Eine Fotografie ist eben doch kein Gemälde. Der handwerkliche Aspekt wird bei der (Digital-)Fotografie gänzlich verdrängt. Die Bedienung und Beherrschung einer Hightech-Box verdrängt den rein handwerklichen Prozess bei der Entstehung eines Gemäldes, einer Grafik oder einer Zeichnung.) Die Fotografie als Methode und Technologie löste in der aufkommenden Werbekommunikation weitgehend manuell erstellte Bilder und Grafiken durch künstlerische Techniken und Methoden ab. Today, wird in der Werbekommunikation fast ausschließlich mit fotografischen Mitteln kommuniziert. (Auch die Werbe- und Gebrauchsgrafik – Grafik Design – durchlief verschiedene Phasen und äußert(e) sich in verschiedenen Stilen (auch länderspezifisch).
In der bildenden Kunst entwickelten sich seit der sogen. Moderne in der Abfolge relativ schnell sich wandelnde Stile und Kunstrichtungen. (Im Gegensatz zu der Entwicklung von den Höhlenmalereien, über das Mittelalter, der Schwelle des 18. zum 19. Jahrhundert, vom 19. ins 20. Jahrhundert bis zur Neuzeit.)
Ein Schritt, weg von der realistischen Darstellung, hin zur Abstraktion kann wohl nicht als revolutionär bezeichnet werden.
Als eine Revolution in der bildenden Kunst dürfte wohl das 1907 von Pablo Picasso entstandene Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“ (243.9 cm × 233.7 cm) sein, wobei er hierdurch eine neue Stilrichtung, den Kubismus, einleitete. Dieses Bild stieß weitgehend auf Unverständnis.
Eine kleine Revolution in der bildenden (abstrakten) Kunst stellt meiner Ansicht nach Malewitsch, 1914, mit seiner Arbeit (Bildäußerung) „Weiß in Weiß“ dar. (Eine geistige Negation der, und Absage an die, Malerei schlechthin.)
Auch Marcel Duchamp führte mit seinen Ready Mades eine neue Denkrichtung und Kunstauffassung in die bildenden Künste ein – vielleicht eine kleine Revolution, im Denkansatz und im Bruch gegen überkommene Bildauffassungen. (R. Mutt, 1917, „Fountain“.). Eine eigenständige, handwerkliche Schöpfungsleistung ist hier nicht mehr vorhanden. Vielmehr ist es die Deklaration von realem Gegenstand (Alltags- und Gebrauchsobjekt) zum Kunstobjekt – eine Transformation einer Idee, die durch den Autor zur Kunst wird. (Für Unbeflissene scheiden sich hier die Geister und erzeugt dieser innovative Schritt in der Fortentwicklung der Künste nur Unverständnis und Ablehnung. Es fehlt ihnen an geistiger Flexibilität und Empathie, was die Innovation des Ausdrucksgehabes und ideeller Ausrichtung oder Auffassung betrifft.)
Was weiterhin als eine neue Denkrichtung in den bildenden (nicht mehr schönen) Künsten gesehen werden kann, ist die praktizierte Kunstauffassung von Joseph Beuys im erweiterten Kunstbegriff, manifestiert in seiner Kunsttheorie der „sozialen Plastik“.
Frank Stella führte mit seiner nonrelational art eine neue Kunstauffassung und neue Sehweisen bezüglich herkömmlicher proportionaler Bildkompositionsschemata ein. Dies ist mehr eine intellektuelle Leistung und Offenbarung als ein neuer Stil. Man muss zunächst seine Intention verstehen um die Bilder einordnen zu können. Sie sind meiner Meinung weniger auf Intuition ausgerichtet um sie zu verstehen oder zu erfassen. Eine Harmonie wie bei relationaler Kunst findet hier natürlich nicht statt.
Eine weitere kleine Revolution in der bildnerischen, zweidimensionalen Kunst war die Abwandlung der orthogonalen Ausrichtung zu freien und auch dreidimensionalen Formen als Hybridform der Malerei und der Bildhauerei hin zu der Objektkunst. Dem ging das Objet Trouvé voraus.
Die Moderne zeichnet sich in relativ schnell wechselnden Kunstrichtungen und Stilen aus. (Naturalismus, Realismus,) Jugendstil, Impressionismus, Pointilismus, Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Futurismus, Konstruktivismus, Informel, Konkrete Kunst, lyrische Abstraktion, Fotokunst, Konzeptkunst, Pop Art, Minimal Art, Land Art, Op Art, Art Brut, Environment, Aktionskunst, Installation, Performance usw. (keine chronologische Reihenfolge) bis in die Gegenwart.
Die gegenwärtige Szene zeigt sich in einem Stilpluralismus parallel und nebenher der Kunsthistorie. Dieser Pluralismus wurzelt in der Kunstgeschichte. Man trifft auf die „schönen“ sowie auf die „nicht mehr schönen“ Künste. „Neues“ erfinden in dem Sinne kann man in den visuellen (bildenden) Künsten eigentlich nichts mehr oder es wird sehr schwierig sein. Es soll ja bildende Kunst sein und bleiben. (Mit der Performance und Aktionskunst schlichen sich die darstellenden Künste in den Bereich der bildenden Künste ein.) Die Differenz liegt in der Individualität, im Ausdruck, in der formal-ästhetischen Darstellung. Spektakulär wird dies in den seltensten Fälle sein – und schon gar keine Revolution.
Die Frage wäre, ob man der Tradition treu und erhaben bleiben will, oder sich innovativ in neue Medien, Grenzgebiete und Möglichkeiten üben und einarbeiten soll. (Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.) Ein aktuelles Kunstwerk zeichnet sich durch Originalität, Authentizität und Innovation (Novität) aus. (Ein Kunstwerk ist ein Geschenk an die Menschheit.)
Innovationen sind Überraschungen und können mit (öffentlichen) Skandalen einhergehen. Dies ist aber auf die Diskrepanz zwischen nicht empathischem und intolerantem Publikum gegenüber gewohnten Sehgewohnheiten und Kunstauffassungen und der intellektuellen und künstlerisch-sensitiven Novität des präsentierten Werkes zurückzuführen. Giotto stieß mit der opulenten Darstellung maskuliner Oberkörper auf Unverständnis und Ablehnung. Eigentlich brachte jede neue Kunstrichtung einen kleinen Skandal zustande und traf zunächst auf Skepsis und Ablehnung. Dies ist aber der Antrieb, das Merkmal und auch das Motiv und das Kennzeichen der Avantgarde. Joseph Beuys stieß mit seiner neuen Auffassung von Kunst weitgehend auf Ablehnung und Unverständnis. Er durchbrach überkommene Ansichten und Auffassungen von Kunst mit seinem erweiterten Kunstbegriff und einer derzeit neuen und ungewohnten Ästhetik. (Darum ging es ihm auch gar nicht.). (Ihm sind heute in verschiedenen Museen etliche Räume gewidmet.) Gunst ist das Leben selbst.
(09-2014)
Das psychische Befinden und die Befindlichkeit sind wie eine Klimaanlage. Und: Die Psyche ist wie ein Glas Wasser. (Mehr oder weniger) gesunder Geist resultiert aus den intakten und funktionierenden neuronalen Verbindungen (Verknüpfungen) des Gehirns. Der individuelle Unterschied liegt dann im IQ. Psychische Beeinträchtigungen können geistige Insuffizienz bewirken und nach sich ziehen. Dies kann sich in gestörter Kommunikation und gestörtem Verhalten äußern. Geistige Höhe und psychische Ausgeglichenheit scheinen sich zu bedingen. (Es scheint nur so – es kommen noch individuelle Erfahrungen hinzu.) (Sofern es eine Psyche gibt, entspräche dies den Schatten an der Wand, wobei als Lichtquelle das Gehirn fungiert.)
Neigung und Begabung zur bildnerischen Tätigkeit entstehen aus einer inneren Notwendigkeit, einem Geltungsbedürfnis (sofern es nicht nur eine Beschäftigungstherapie und Zeitvertreib bleiben soll). Jeder Künstler ringt um Anerkennung (und somit um Selbstbestätigung).
Psychische Ausnahmesituationen können eine Grenzerfahrung bedeuten und der Weg eine Gradwanderung. Befindlichkeiten kommen im einzelnen Bild auch unmittelbar zum Ausdruck. Van Gogh: „Man kann nur so gut malen, so gut man sich fühlt.“ Der Autor eines Bildwerkes möchte aber (vielleicht nicht immer bewusst) eine Botschaft übermitteln, eine „Kündung“. (Edvard Munch „Der Schrei“.) Und hier sitzt er auch schon in seinem Dilemma. Eine Betrachtung aus der Vogelperspektive hilft nur den Beflissenen weiter. Wem interessiert es schon, wenn einem der Balkon unter den Füßen zusammenbricht, wenn einer Selbstmord begeht, tragisch verunglückt, an einer unheilbaren Krankheit leidet und am Schluß stirbt, wenn jemand der Drogensucht verfallen ist und eine Drogenkarriere, womöglich mit tödlichem Ausgang, hinter sich hat, oder wenn einem das Institut keinen weiteren Kreditrahmen mehr gewähren will?
Derartige „tragische“ Umstände gibt es auch in der Kunst, nur scheinen sie hier eine besondere Gewichtung zu erfahren. (Ein einschneidendes Ereignis drängt nach einer Deutung.) Vielmehr geben derartige individuelle Schicksale für die aufgeklärte Gesellschaft im 21. Jahrhundert Anreize zur (geheimen) öffentlichen Belustigung (und auch Genugtuung). Hier kann man sich so schön „aufgeilen“. (Innere Kartharsis.) Hat insofern der mündige Mensch in einer hochentwickelten Gesellschaft, wie die unsere westlich-kapitalistische, auch einen erheblichen Anteil an seinem persönlichen Schicksal? (Es scheint sich bei ernstgemeinten kreativen Absichten eine Kluft zu öffnen oder der Weg sich zu gabeln, wenn Verstand, Intellekt, Erfahrung und Aufklärung, und andererseits ein Übermaß an Emotion, Sensitivität, Geltungsdrang und Mitteilungsbedürfnis kollidieren und die Lebenspraxis sich als Trugschluss erweist.)
Nicht nur im Show-Business und im Sport, auch in der Kunst herrschen die „winner-takes-it-all“-Regeln und Mentalitäten. Der Weg zu Anerkennung, Wertschätzung oder gar Ruhm ist mit unzähligen Steinen besetzt.
(04-2015)
Bildnerische Arbeit ist für den Kreativen und Künstler eine notwendige Tätigkeit um innere Ideen und Visionen zu visualisieren und zu kommunizieren. Es ist für ihn ein Bedürfnis. Dabei gehen die Ideen aus- und voneinander hervor. Im „Flow“ verschmelzen Raum und Zeit im kreativen Prozess.
Im Gegensatz zum Credo des Marketing muss in der Kunst der Köder den Künstler schmecken und nicht dem „Käufer“ oder Kunden. Der bildende Künstler produziert nicht für den Markt, sondern entäußert seine kreative Persönlichkeit durch sein Werk. Dies scheint eine innere Notwendigkeit zu sein. (Der Überlieferung nach hat Vincent van Gogh in seinem Leben selbst lediglich ein Bild verkauft.) Durch seine Werke offenbart der Künstler seine innere Anschauung und Auffassung im bildnerischen Ausdruck. Der genuine Künstler steht eher für ein Leben für die Kunst als für ein Leben von der Kunst. Für die Gewährleistung des Überlebens und Fortbestehens der Aktivitäten ist jedoch kaufmännisches Talent gefragt und eigentlich unabdingbar. Hieran können sogar genial ausgerichtete Existenzen zu Grunde gehen.
Psychische Labilitäten und Unzulänglichkeiten, psychische Störungen oder gar Erkrankungen, ja sogar psychosenahe Erkrankungen begleiten und begleiteten oft die Persönlichkeit des Künstlers. Dies zeigt uns die Kunstgeschichte. Hier können sich seelische Abgründe abtun und offenbaren. Künstler leiden nicht selten an einer Persönlichkeits- und/oder Charakterstörung. Vielleicht kann man sein künstlerisches Werk als Kompensation der gestörten Psyche und charakterlichen Unzulänglichkeiten betrachten. Ein gigantomanisches Werk kann so zum Beispiel Minderwertigkeits- und mangelnde Selbstwertgefühle kompensieren und das flüchtige und schwache Ich stärken.. Eine künstlerische Persönlichkeit weist nicht nur die Sonnenseite mit den künstlerischen Werken auf, sondern in ihr birgt sich auch die Schattenseite der Persönlichkeit in der Psyche. (In der Psychiatrie, Psychopathologie und Psychologie spricht man von „narzisstischen“, „depressiven“, „schizoiden“, „schizophrenen“, „paranoiden“, „schizoid-paranoiden“, („zwanghaften“, „hysterischen“) Persönlichkeiten und Persönlichkeiten mit Borderline-Störungen oder anderen sonst noch gestörten Persönlichkeiten.) Was zählt in der Kunst ist aber das Werk. und nicht die Unzulänglichkeiten und Schattenseiten der Person.
(04-2015)
Bei gegenständlichen Darstellungen offenbart sich im Differenzierungsvermögen die Klarheit des Geistes während des Schöpfungsaktes. Der Höhepunkt des Bewusstsein wäre also eine naturalistische Bilddarstellung. Gegenständliche Darstellung lässt auf realistische Denkweise schließen. Es überwiegt die Ratio. Sicherlich wohnt jedem dargestellten Objekt (oder Subjekt) eine symbolische Aussage oder Wirkung inne, die bei bewusstem Geist (Sinnhaftigkeit) auch beabsichtigt sein mag. Bei psychischer und/oder geistiger Verklärtheit tritt die Bewusstheit einer darüber hinaus liegenden bildlichen (Meta-)Kommunikation (Symbolik) in den Hintergrund bzw. ist gar nicht vorhanden. Dies bleibt aber jedes Geheimnis eines jeden Bildes. (Zufall, Kalkül, verfehlte Bildkommunikation.) Bei psychischer Beeinträchtigung eines klaren Verstandes überwiegt die Emotion im bildnerischen Prozess, die Ratio scheint verdrängt zu sein. (Aber es gibt auch noch das Unterbewusstsein, wie schon C.G. Jung in seiner Klassifizierung der Archetypen darauf hingewiesen hat.) In der Kunstgeschichte bekannte Meisterwerke sind aber Sinnbilder und Allegorien bewusst inszenierter Darstellungen.
Stile wurden geboren durch mehr oder weniger abweichende Präzision der Widergabe von Realität. Es kommt die Psyche mit ins Spiel. Ist es Unvermögen im Zuge eines psychischen Ausnahmezustandes oder Intention? Im Gegensatz zu figürlichen (realistischen) Darstellungen sind abstrakte Bildwerke, bei denen nicht die Form dominiert, eine Domäne der Emotion und Empathie. Bei abstrakten Werken, die formbestimmt sind, ergibt sich eine Verschmelzung von Ratio und Emotion. In der sogenannten „Konkreten Kunst“, eine hohe Stufe von Abstraktion, überwiegt die Ratio. Als weitere Sinnebene kommt die Sprache hinzu, wie sie im Bildtitel definiert und kommuniziert wird. Oft trägt die sprachliche Kommunikation im Titel eines Bildwerkes wesentlich zur Entschlüsselung und zum Verständnis der Darstellung bei. Fungiert sie als Pedant zum Bild oder dient sie als Alibi?
(08-2015)
Die Kunst wandelte sich mit der Wende zum 20. Jahrhunderts von der gegenständlichen Darstellung allmählich hin zur gegenstandslosen Darstellung. Die Darstellung des Gegenstandes durchlief verschiedene Stilperioden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts trat in der zeitgenössischen Kunst (Avantgarde) schrittweise eine Domestizierung an der Differenzierung des Dargestellten auf. Konkrete Kunst (ab 1930), Minimal Art, Konzept Art sind Kinder der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Man muss immer die Zusammenhänge der Historie kennen um zu einem seriösen Urteil eines einzelnen Kunstwerkes zu gelangen. Ein einzelnes Werk, aus dem historischen Zusammenhang gerissen, kann wohl kaum verstanden werden. In der gegenwärtigen Kunst mag das unbeflissene Publikum stets vor einem Rätsel gestanden haben, das das jeweilige zeitgenössische Kunstwerk herausfordert. Das unbefilissene Publikum kann gegenwärtige Kunst ohne kunstgeschichtlichen Hintergrund nicht „verstehen“. Die lapidare Äußerung und das Urteil lautet dann häufig: „Das kann ich auch.“
Dem gegenübergestellt bietet sich der Vergleich mit mathematischen Regeln an (Imdahl): Es ist ein Unterschied, ob ich mathematische Regeln lediglich anwende, oder ob ich mathematische Regeln erfinde. Die leichtfertige Feststellung „das kann ich auch“ ist eine Gelegenheitsfloskel und suggestive Äußerung, denn derjenige, der diese Feststellung leichtfertig trifft, hat des Weiteren nicht die Absicht, sein Vorhaben auch zu realisieren, er „macht“ es einfach nicht.
Somit sind Bildwerke Realitäten und Existenzen und keine Hirngespinste. Zwar kann über diese in die Realität gesetzten Bildnisse diskutiert werden, aber sie sind a priori Resultate einer Schöpfung und somit erst einmal begrüßenswert. Anerkennung und Ablehnung ist auch immer im historischen Kontext eingebunden. Man kann nicht alles zu jeder Zeit machen. Die gegenwärtige Demütigungskultur unserer heutigen Gesellschaft wirft die Frage für den sensiblen Kreativen auf, ob seine Werke überhaupt der Öffentlichkeit zugeführt werden sollten.
(12-2015)
Der Künstler will der Welt etwas mitteilen. Dabei bedient er sich bewusst oder aber auch nicht bewusst (er/sie malt aus dem „Bauch heraus“) stilistischer Ausdrucksmöglichkeiten. Der rein pragmatische Teil ist die Darstellungstechnik (Maltechnik, Zeichentechnik). Formal bedient er (sie) sich im besten Falle eines unverwechselbaren Stils.
Künstlerische Begabung kann man nicht lernen, eher fördern. Sie besteht aus einem Konglomerat aus Empathie, Intuition, Sensibilität, Intelligenz, Ausdauer/Durchhaltevermögen, Fleiß und auch Mut. Mut zum Künstlertum, welches in unserer Gesellschaft zur untersten Schicht zu zählen ist. Technik hingegen ist erlernbar durch Studium der Technologien („Machen“), durch unermüdliches Experiment, woraus sich wachsende Erfahrung ergibt.
Der Werdegang des bildenden Künstlers beginnt schon in der Kindheit. Neigungen, Interessen, Begeisterung schlagen einen Weg ein, der durch erste kreative Übungen und Äußerungen gefestigt wird, wobei eine Realitätsprüfung oft außen vor bleibt.
Begabung ist aber noch nicht alles, was später einmal ein Künstler werden soll. Wichtiger scheint mir die Entwicklung einer Leidenschaft, einer Manie zu allem Visuellen, zum Visualisieren und zum bildnerischen Ausdruck. Manche Talente, in früher Kindheit manifestiert, werden in der Jugend, Adoleszenz, frühem Erwachsenenalter „verschüttet“, sie sind aber latent vorhanden und können in späteren Zeiten (wieder) zum Ausbruch kommen. (Etwa in einer Identitätskrise, die wohl jeder Mensch in seinem Leben durchmacht, erinnert man sich an frühere Neigungen und Interessen und die Hoffnung scheint wieder aufzublühen. Man wittert eine Chance, unbedacht einer realistischen Einschätzung auf eine Existenz in unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung.)
Das Kind orientiert sich a priori an der äußeren Erscheinungswelt, es erfährt und erlebt ja die Welt im Alltag. Geordnet werden die verarbeiteten Eindrücke in der bildnerischen Äußerung. Eindrücke, Erlebnisse, aber auch Ängste und Befürchtungen werden dargestellt. Mit der Reife des Intellektes gewinnt die bildnerische Ausdrucksmöglichkeit immer mehr Bezug zur realen Welt in Form und Farbe.
Einfluss erfährt das heranwachsende Kind durch die Eltern und durch den Kunst-, Werk- und Handarbeitsunterricht in der Schule. Es soll ja sogar kreative Fördermöglichkeiten für Kindern geben. („Ist mein Kind begabt?“ – Kreativität entspringt aus Neigung, in Muse, sie ist ein ungezwungener, freiwilliger Akt in Zuneigung und innigster Hingabe und kann niemals reglementiert, empfohlen, herbeigesehnt, aufoktroyiert, erzogen oder erzwungen werden.) Durch die Zensur glaubt es sich richtig einzuschätzen. Die Auffassung des Pädagogen bestimmt was als gut und schlecht, richtig oder falsch, schön oder hässlich einzustufen ist. Gefühle sind hier weitgehend fehl am Platz. „Gut“ zeichnen können heißt, die Erscheinungswelt auch so darzustellen wie sie auch ist, also realistisch und möglichst mit virtuosem, illusorischem Touch. Manche Talente und späteren (Super)stars fristeten in der schulischen Förderung der Kreativität eher ein Schattendasein.
Mit der Adoleszenz formt sich dann langsam eine Persönlichkeit, Charaktere bilden sich heraus. Einhergehend kann diese Entwicklung der Lebensstadien auch, vorübergehend oder aber auch manifest, abwegige Formen entstehen lassen. Persönlichkeitsstörungen, ja sogar Psychosen (etwa eine schizophrene Erkrankung) sind in künstlerischen Berufen weitverbreitet. Der Nachteil dabei ist, dass der- oder diejenige es nicht weiß oder wissen will – die Einsicht fehlt. (Bei psychotischen Erkrankungen könne vor allem eine genetische Disposition verantwortlich sein, ein hereditäres Moment, was durch äußere Ereignisse zum Ausbruch kommen kann.)
Die äußere Erscheinungswelt bildet die Grundlage einer künstlerischen Entwicklung (ab dem Kindesalter). Alle großen Künstler, die es zu Ruhm gebracht haben, begannen mit einer Auseinandersetzung der Realität, einer realitätskonformen Darstellung in der Bildfindung. (Vincent van Goh hatte darüber hinaus noch ein Schicksal.) Der bildnerische Ausdruck der äußeren Erscheinungswelt äußert sich in der Geschichte der Kunst in verschiedenen Stilen, einer jeweiligen Epoche.
Im ausgehenden 19. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich der Gegenstand in der Kunst allmählich oder abrupt aufzulösen. Es entwickelte sich eine Tendenz zur Abstraktion, wobei hier innere Erscheinungsbilder, Gefühle, Visionen bildnerischen Ausdruck fanden. Paul Klee hierzu: „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar.“ Die Intention des Künstlers wird äquivalent durch bildnerische und stilistische Mittel visualisiert unter formalästhetischen Gesetzmäßigkeiten.
Der äußere Eindruck, die Empfindung der augenblicklich erlebten, eingefangenen und empfundenen Realität berührt die Künstlerseele, eingefangen und widergegeben im Bild, kennzeichnet eine impressionistische Auffassung und Ausdrucksweise. (Lat. impressio = Eindruck.) Stilistische Mittel unterstreichen die innere Empfindung oder Stimmung in Bezug zum Augenblick. Es ist mehr ein Weg von Außen nach Innen.
Der Weg von der inneren Regung (auch Erregung) und Empfindung nach Außen (im dargestellten Bild) vollzieht sich in einer expressionistischen (expressiven) Bildäußerung. Ja, es scheint sogar bisweilen eine Vergewaltigung im Bild stattzufinden. (Lat. expressio = Ausdruck.) Der Künstler zwängt seine innere Regung dem entstehenden Bild auf. Er entäußert sich. Man denke etwa an die explosiven und mit dem nachvollziehbaren Verve entstandenen Farbäußerungen in gegenständlichen und/oder auch nichtgegenständlichen Bildern eines Georg Baselitz.
Eine vollkommene Loslösung vom Gegenstand manifestiert sich im „abstrakten“ Kunstwerk. Es kann von Gefühlen erzählen (Farb- und Formgefüge), wobei das Innen durch formalästhetische Äußerungen nach außen tritt oder aber auch nur eine reine intellektuelle Leistung und Absicht darstellen, wie etwa in der konkreten Kunst (vorher im Konstruktivismus), wo keine Evokation stattfinden kann.
Ein paar Gedanken über (bildende) Kunst (aus der Sicht eines Gestalters) – II.
(wird ständig korrigiert und ergänzt)
(01-2016)
Betrachtet man den Werdegang eines bildenden Künstlers, zeichnet sich wohl ein allen gemeinsames Bild ab: Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit der realitätsgetreuen Auseinandersetzung der Erscheinungswelt. Es liegt am Genius des Einzelnen, so gut oder weniger gut dem im oder mit dem Bildergebnis nahe zu kommen. Was man unter Virtuosität versteht, ist die Attitüde, dem realistischen, der widergegebenen Realität beigefügten Raffinement formaler bildnerischen Möglichkeiten.
Genre, Stillleben, Landschaft sind die Gattungen der bildnerischen Auseinandersetzung mit der Erscheinungswelt. An Akademien und Kunsthochschulen bilden sie den Grundstock der Ausbildung. (Sollten sie zum Inhalt der Lehre werden oder sollte die Bewältigung und der Vollzug zur Voraussetzung einer Ausbildung sein?)
Es kann das Ziel einer Kunstausbildung sein, die Vollendung unter virtuosen Möglichkeiten der Abbildung und Transformation der Realität, dem menschlich aufgenommenen Erscheinungsbild. Allenfalls wird so Kunstfertigkeit erlangt.
Einmal am Höhepunkt der Übungen angelangt, kann man von Kunstfertigkeit sprechen. Dies ist ein Konglomerat aus handwerklichen Fertigkeiten und Fähigkeiten und einer gewissen Höhe des Reflexionsvermögens, gepaart mit Intuition. (Symbolik ist eine Kombination von beidem.) Kunst ist, wie auch Journalismus, a priori ein Handwerk, das erlernt und/oder erprobt werden muss.
Bleibt ein Kreativer auf der Basis dieser ersten und untersten Stufe hängen, kann man die Bildwerke allenfalls als Kunstfertigkeit einstufen. Kunst geht aber darüber hinaus. Es kann nicht sein, eine Stufe von Kunstauffassung, der der Widerspiegelung realitätsgetreuer Abbildung, als Vollendung anzusehen.
Ein Künstler zeichnet sich durch seinen Stil, einer Folge von themenspezifischer Auseinandersetzung oder einer verfeinerten, individuellen, unverwechselbaren und weiterentwickelten Technik aus. Es geht also nicht – wie Laien zu beurteilen vermögen – und ein allen Künstlern zu eigen seiendes Einheitskunstwerk als Resultat eines handwerklichen Geschicks, so wie auf der Stufe der Kunstfertigkeit, sondern um individuelle, unverwechselbare Kreationen.
Die realistische Abbildung der Erscheinungswelt, in allen Stufen der handwerklichen, virtuosen Bewältigung, kann allenfalls als „schön“ und „gefällig“ eingestuft werden. (Albrecht Dürer: „Die Schönheit, was das ist, das weiß ich nicht.“) Es ist Kunstfertigkeit. Wahre Kunst dagegen soll über den Dingen stehen. Der Mensch neigt dazu, abstrakte Gedankengänge zu denken und zu äußern. Die Welt der nichtgegenständlichen Kunst resultiert aus Gefühlen, Intuition, Empathie, aber auch aus intellektuellen Leistungen/Vorgängen, im Einvernehmen mit den Gesetzen des Sehens, die auf Erfahrungswerten basieren, letztendlich auf visueller Lebenserfahrung.
Das Handwerk der Kunstfertigkeit beruht auf Erfahrung durch Übung, das der Kunst auf einer handwerklichen Basis, intellektuellen, intuitiven und empathischen Fähigkeiten des Kreativen. (Paul Klee: „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar.“)
Die Themenfindung der Kunst ist schier grenzenlos. Die Bildideen sprudeln bei einem Kreativen im Flow nur so aus sich heraus. Das eine Bild provoziert die nächsten, weiteren Bilder, bis die Idee oder das Thema erschöpft ist oder es langweilig wird – auf zu neuen Ufern.
Die Themenfindung der Kunstfertigkeit liegt in der Anschauung, dem Reflexionsvermögen der Erscheinungswelt des Kreativen. Bevorzugte Situationen und Konstellationen der Erscheinungswelt finden gefallen. (Z.B. Themenrichtung „Romantik“.) Was wollte uns Paul Cézanne mitteilen, wenn er immer wieder den Monte Sainte-Victoire malte? In erster Linie sind es persönliche Präferenzen, die darüber hinaus auch eine Sinnhaftigkeit kommunizieren. (Hätte man lieber Cézanne fragen sollen.)
Den Kunsthistorikern haftet naturgemäß die Neigung zur Interpretation an. Was will uns das Werk sagen, was wollte uns der Künstler mitteilen? Bei zeitgenössischer Kunst scheint es noch einfach zu sein, da der Schöpfer eines Werkes befragt, interviewt werden kann. Bei historischen Werken bleibt es reine Spekulation. Aus Ameisen können durch die Hirngespinste von Kunstwissenschaftlern Elefanten werden.
(02-2016)
Kunst ist im Grunde ein Business, aber keines wie jedes andere. Ein Business um Selbstverwirklichung, um Entäußerung (und manchmal auch um Macht.) Soll man Ästhetik (über Geschmack lässt sich stets streiten, er ist individuell verschieden, nicht objektivierbar, so wie Sympathie und Antipathie fest im Geiste und der Psyche verankert sind) dem breiten Publikum aufoktroyieren? Soll man sich rigoros preisgeben oder eine bedachte Auswahl treffen, dem Nerv der Zeit folgen oder ihn treffen oder dem Geschmack des (unbeflissenen) Publikums Genüge tun? Kunst ist erstarrte Psychologie.
Für das Business gilt: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Was könnte dies für den bildenden Künstler bedeuten? Die Disziplinen Malerei, Grafik, Bildhauerei werden bestimmt auch weiterhin bestehen. Neue Techniken in den tradierten bildnerischen Auseinandersetzungen können kaum mehr erfunden werden. Alles wurde schon gemalt, alles gedacht. Ein Schriftsteller ist ein Seismograph seiner Zeit. Und der bildende Künstler? Kritische Stellungnahme zum Zeitgeschehen könnten Themen sein.
Neue Medien bieten auch neue Möglichkeiten der Betätigung für Künstler. Seit der Computer Einzug in die Gebrauchsgrafik, den Printmedien gefunden hat, sind in der Druckindustrie ganze Berufszweige weggefallen. Die digitale Revolution brachte so auch neue Berufe und neue Studiengänge hervor. Für die einen ein Segen, für die anderen ein Fluch. Grafiker bedienen sich heute der Möglichkeiten einer digitalen Bildfindung. Das Video löste den Film ab. Computer, Tablet, Smartphone können gute Dienste leisten, wenn es um neue Ausdrucksformen geht. Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hat seine ersten Hürden hinter sich. Eine neue Revolution steht bevor, die ständige Verfügbarkeit des technischen Equipments – das Smartphone als täglicher Begleiter des Lebens – auf der Lauer um die gelegene Situation, den Moment, den Augenblick. Authentizität spricht für diese neuen technischen Errungenschaften. Einen weiteren Tribut zollen dann die sozialen Medien. (Hier endet aber die Kunst.)
Das mag ja alles schön und gut sein. Gerade deshalb und wegen, sind in der fortschreitenden Technisierung der Bildgenerierung, traditionelle, handwerkliche, primitive Techniken zur Bildfindung wieder gefragt. Einfachheit, vielleicht auch Primitivität, macht eigentlich den Genuss des Lebens aus. Moderne Technik kann auch eine Bürde bedeuten und kann manchmal verteufelt werden. Ein Holzschnitt etwa, ein ganz primitives Druckverfahren und Medium der Bildfindung kann vom Handwerker voll und ganz kontrolliert werden. Es steht allein in seiner Macht, das Motiv zu bestimmen, den Druckstock fertigzustellen, Druck auszuüben. Ähnliches gilt für jede manuelle Technik der Bildfindung (Malerei, Zeichnung, traditionelle Druckgrafik). Die Kunst ist nicht vom Artensterben bedroht.
Ein zwingendes System operiert mit primitiven Gesetzmäßigkeiten der Mechanik, der gesunden normalen menschlichen Psyche oder der Optik. Beispiel: ein Spiegel, das Lesen eines Buches. Ein komplexes System ist dem technischen Fortschritt zu verdanken und beinhaltet viele Stufen und Faktoren, die für das Funktionieren verantwortlich sind und Voraussetzung dafür sind. Es entzieht sich weitgehendst menschlicher Kontrolle, aber erfordert durch die Bedienung ein beherrschen der Technik. Dies sind vor allem technische, hochentwickelte Gerätschaften. Beispiel: Ein TV-Gerät, Computer, Digitalkameras, moderne, IT-unterstützte Fahrzeuge.
Traditionelle Mal- und Drucktechniken verfolgen ein zwingendes System, der Künstler hat in jeder Situation die volle Kontrolle über sein Schaffen. (Ich denke jetzt etwa an die großformatigen Holzschnitte eines Georg Baselitz oder die abstrakten Gemälde von Gerhard Richter.) Dies kann nur durch handwerkliche, manuelle Bewältigung erreicht werden. Und nicht durch eine Maschine, einen Automaten, einen Apparat, einer Black-Box mit –zig beeinflussenden, nicht zugänglichen und nicht kontrollierbaren Faktoren. Computer, Camcorder, Smartphone und Digitalkamera sind zwar Mittel zum Zweck, aber im Grunde nur (elektronische) Hilfsmittel. Voraussetzung für den Einsatz dieser Medien ist die Beherrschung der Technik. Und wehe, das Computerprogramm stürzt mitten in der Arbeit ab, oder die Akkus der Digitalkamera sind am Ende und man hat das Highlight nicht im Kasten.
Leinwand, Farbe, Pinsel, Papier, Zeichenstift, Wasser, Pigment, Bindemittel, Firnis, Fixativ sind zuverlässige Hilfsmittel, die kaum versagen, wenn man gelernt hat und es versteht mit ihnen umzugehen. Aus und mit ihnen entstehen Welten, Visionen, Fiktionen, die den digitalen Bildwelten nicht nur ebenbürtig sind, sondern überlegen sein können. Ein Kunstwerk ist eine Evokation. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Ein Objektiv erfasst die Realität so wie sie ist. Der Maler offenbart aber viel mehr.
Ein Kunstwerk ist erstarrte Psychologie. Erschaffene Illustrationen am Computer (Vektorgrafiken, bearbeitete Fotos) sind künstliche Welten (wie manuell künstlerische in den bildenden Künsten), aber durch elektronische Gerätschaften und mit elektronischer Unterstützung entstanden. Einem mit einem Bildbearbeitungsprogramm korrigiertem Bild sieht man dies an. Und realistische Surrealität gibt es im richtigen Leben nicht. Ganz zu schweigen vom Anfertigen von Zeichnungen oder Vektorgrafiken am Computer. Ein geübter Zeichner geht schneller zur Hand und liefert ein mehr oder weniger befriedigendes Ergebnis in wesentlich kürzerer Zeit als ein Ungeübter eine Illustration am Computer erstellt. Die Zukunft gehört, ganz traditionell, dem Handwerk ob analog oder digital. Wichtig sind die Ergebnisse und nicht der Einsatz hochentwickelter Technologie.
(04-2016)
Es wäre müsig, sich zu überlegen ob zuerst die Zeichnung oder zuerst die Malerei da war. Selbst Recherchen über die Ursprünge der Kunst, in den Felsmalereien und Felszeichnungen der Jungsteinzeit (Jungpaläolithikum), geben keinen eindeutigen Aufschluss, weil exakte Entstehungszeitpunkte nicht eruiert werden können. (Die ältesten Zeugnisse von Höhlenmalereien finden sich in der El-Castillo-Höhle in Spanien und werden ca. 40.000 before present datiert.) Diese Höhlenmalereien mit wesentlichen Elementen und Charakteristiken der Zeichnung und der Malerei rechnet man heute zur Parientalkunst (lat. paries = Wand).
Es sind lineare, zeichenhafte (genauer symbolhafte) Gebilde als auch flächenhafte, malerische Darstellungen überliefert. Die Malmittel waren natürlicher Art. Tierblut, Holzkohle, Eisenoxide, Manganoxide, diverse Gesteine, Erze und Feldspat, Kalkstein, Pflanzenharz, Milch und Pflanzensäfte, gebrannte Erden (Ocker) lieferten die Grundsubstanz der Höhlenmalerei. Substanzen, die keine Bindemittel enthalten (Oxide, Gesteine) wurden mit Wasser, Speichel oder Fetten vermischt und so malfertig gemacht. Es lässt sich aus den überlieferten Ergebnissen schließen, dass diese Farben vorwiegend in Pulverform verarbeitet wurden und sogar mit Röhrchen auf-geblasen („gesprayt“) wurden.
André Leroi-Gourhan (1911–1986) arbeitete und differenzierte im Wesentlichen vier paläolithische Kunststile heraus. Diese steinzeitliche Kunst definiert bereits in den Stilelementen das Wesen der Zeichnung und der Malerei, nämlich Punkt, Linie und Fläche. Als Motiv galt die mannigfache Erscheinung der Natur und der Alltag der Jagd, was sich in symbolhaften, vereinfachenden Zeichnungen und flächenhaften Malereien widerspiegelt. Charakteristisch ist eine lineare und eine flächenhafte Ausdehnung der Darstellungen, also noch keine plastische und räumliche Andeutung von Körpern und Gegenständen. (Die perspektivische Darstellung fand erst in der Renaissance Einzug in die Kunst.)
Auch heute ist es schwer zu sagen, ob wir zivilisierten Menschen von Kindesbeinen an zuerst zeichneten oder zuerst malten. Von der Technologie aus betrachtet, geht die Zeichnung leichter und bequemer von der Hand als das Malen. Wenn ein Gemälde nicht „aus dem Bauch“ heraus entsteht, gehen meist einige Skizzen oder Zeichnungen, vor allem der Komposition wegen, dem Gemälde voraus. Also könnte man vermuten, dass die Zeichnung vor dem Gemälde kommt. Bedeutende Maler zeichneten auch (Beispiel Dürer). Es ist aber nicht gleichzeitig gesagt, dass Grafiker (Zeichner) auch malen. Gebrauchsgrafiker malen selten – wenn man Illustrationen und Plakatentwürfe nicht gleich als Malerei, wie etwa auf Leinwand, betrachtet.
Die Zeichnung kann etwas Spontanes, eine fixe Idee (besonders eine Skizze) visualisieren. In der Malerei wurde dies im Informel und auch im Expressionismus deutlich. Ein aus dem „Bauch“ heraus entstandenes Gemälde braucht keine Zeichnung und auch keine Vorzeichnung auf dem Bildträger. Dies wäre eher hinderlich und kontraproduktiv. Ein Aquarell nach der Natur kann unterstützend eine Vorzeichnung (in Bleistift) auf dem Bildträger (Papier) vorausgehen oder bei geübten (nicht unbedingt fortgeschrittenen) Künstlern gleich direkt mit der Farbillusion auf das Papier zu Werke gebracht werden.
Das Wesen der Malerei ist die Farbe mit ihrer flächenhaften Ausdehnung, das der Zeichnung die Linie, entstanden aus dem Punkt. Man kann auch mit dem Bleistift malen, was aber eigentlich nicht dem Wesen der Zeichnung entspricht. Ob ein Aquarell mehr der Malerei oder der Grafik zuzuordnen ist, da streiten sich auch Kunstwissenschaftler. (Bei Noldes Aquarellen werden jedoch primär malerische Qualitäten deutlich.)
Die Praxis zeigt, dass Gemälde monetär höher einzustufen sind als Zeichnungen und Grafiken (Drucke). In der Regel kann ein Gemälde auf Gewebe und Keilrahmen größere Ausmaße annehmen als eine Zeichnung auf Papier oder Karton. (Es gibt natürlich auch quadratmetergroße Zeichnungen.) Darüber hinaus sind die Malmaterialien für die Entstehung eines Gemäldes wesentlich höher als die einer Zeichnung. Leinwand, Keilrahmen, malfertige Farben sind wesentlich teurer als Papier, Karton, Aquarellfarben oder Blei-, Buntstifte. Kreiden und Tuschen/Tinten.
Ob ein Anfänger (das Kind) zuerst zeichnet oder malt ist nicht nur von der individuellen Präferenz und Vorliebe abhängig, sondern auch vom Erziehungsteil oder dem pädagogischen Personal, der es animiert und anleitet. Einfacher und bequemer sind Zeichentechniken. Ein Schwarz-Weiß-Denken erfordert ein gewisses Abstraktions- und Umsetzungsvermögen, wohingegen eine Malerei mit Farben mehr die emotionale und impulsive Seite des Kreativen anspricht. Ein Designer darf nicht dick sein, ein Künstler darf nicht doof sein.
Im genuinen kreativ-künstlerischen Gestaltungsprozess scheint das Raum-Zeit-Gefühl beinahe vollends eliminiert zu sein. Das existentielle Phänomen der Zeitsukzession nimmt die schöpferische Hingabe und das Aufgeben rationaler (Denk)Vorgänge im Flow ein. Flow ist ein Moment höchsten Glückes und höchster Ekstase. Dabei jagt eine kreative Idee die andere. Serien laufen im Kopf ab, neue Ideen werden geboren und warten darauf gebannt und realisiert zu werden. Kunst ist ein selbstreflexiver Vorgang! Emotion und Intellekt gehen Hand in Hand im Entstehungsprozess sowie in der Beurteilung und Einschätzung des fertigen Produktes. Eulen merken nicht, dass bereits das Tageslicht den sanften Wahn in eine andere Stimmung färbt.
Der Motor, der Antrieb des „freien“ Kreativen scheint der eigene Narzissmus zu sein. Es ist wie eine Entäußerung des Selbst, einer Projektion, einer inneren Vision, seien es Gefühle oder Fiktionen. Die kreativen Ergebnisse sind wie eigene Kinder. Man liebt sie, vergisst aber dabei zunächst sein eigenes Urteilsvermögen und vor allem die Reaktion des (eines) Publikums. So können auch Skandale entstehen. (Marcel Duchamp.)
Freie Kunst entsteht aus eigenem Antrieb, freiwillig und ohne Zwang. In den Konzentrationslagern während der Nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland entstand auch Kunst, meist heimlich, nicht nur von Professionellen, auch von Betroffenen, die einfach nur ihr Leid und die ausweglose Situation dokumentieren wollten. Einiges davon ist ja noch überliefert. Es sind Zeugnisse der Verzweiflung, eines existentiellen Kampfes um ein Schicksal und des Überlebens, eine Hoffnung um ein glückliches Ende. Es sind Bilder und Bildnisse, meist Zeichnungen und Skizzen, die aus einer inneren Not entstanden sind. Hier fragt keiner nach dem Zeichenstil und formaler Vollkommenheit, es sind authentische Zeugnisse.
Wenn sich ein Maler eine bestimmte Technik, eine Manier zu seinem Ausdrucksrepertoire gemacht hat, muss man genauer forschen. Man muss die Hintergründe kennen, um ihn und die Bilder zu verstehen. Wenn einer abstrakte Bilder mittels einer Rakeltechnik vollbringt, stellt sich dem Beflissenen die Frage „Warum“? Man muss forschen wie ein Höhlenforscher, wie und was kann denjenigen dazu bewogen haben. Wenn man etwa weiß und herausgefunden hat, dass diese Vorzüge etwa in der künstlerischen Entwicklung auf wesentliche Charakteristiken des Mentors zurückzuführen sind, scheint man schon einen kleinen Schritt weitergekommen zu sein. So wie in einem Schneegestöber.
(wird fortgesetzt)